serpent historie

Serpent Villefranche de Rouerque 1800

 Serpent Villefranche de Rouerque 1800

 

Anfang des 18. Jahrhunderts entdeckte der berühmte Musikhistoriker Charles Burney ein seltsames Instrument, das den Gesang der Bässe in den französischen Kirchen unterstützte. Er schrieb dazu: „Es hilft ihnen, die Stimmung zu halten, so wie ein Krückstock, auf den man sich auflehnen kann.“

Bei diesem mysteriösen Instrument handelte es sich um nichts anderes als um den Serpent, der wegen seiner charakteristischen Form, dem Doppel-S, so genannt wurde und tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeit mit einer Schlange aufweist.

1590: Die Geburtsstunde eines Instruments

Die Mehrzahl der Spezialisten ist sich darin einig, dass der Serpent in Auxerre, Frankreich zum ersten Mal verwendet wurde. Er war dazu gedacht, den Choralgesang in den Kirchen zu begleiten und zu verstärken.

Obwohl der Korpus aus Holz, ummantelt mit Leder oder Pergament, besteht, wird der Serpent dennoch zu den Blechblasinstrumenten gerechnet, genau wie der Zink. Er hat sechs Löcher, die dem Spieler einen Tonumfang von bis zu drei Oktaven erlauben.

17. und 18. Jahrhundert: Die Blütezeit

Jede Kirche in Frankreich hatte ihren Serpentisten. Nach der Revolution fand das Instrument seinen Platz auch in den verschiedensten Instrumentalensembles, besonders in der Militärmusik. Ein etwas unterschiedliches Modell, verstärkt durch einen Metallstab, wurde in England heimisch.

Der Theologe, Mathematiker und Musiktheoretiker Marin Mersenne, universell gebildet, ist der Autor einer monumentalen Abhandlung mit dem Titel Harmonie universelle: Contenant la théorie et la pratique de la musique, die in Paris 1636/37 erschien. Er erwähnt den Serpent mit lobenden Worten, indem er dessen Fähigkeit hervorhebt, sich zwanzig sehr kräftigen Stimmen ebenso anpassen zu können wie einer zarten Kammermusik.

19. Jahrhundert: Der Niedergang

Das industrielle Zeitalter hat auch die Welt der Musik zutiefst beeinflusst, indem es die Schaffung neuer und leistungsstärkerer Instrumente ermöglichte. Es dauerte nicht lange, bis der Serpent mit seinen sechs Löchern abgelöst wurde durch die Ophikleide, die bis zu zwölf Klappen besitzt, was sie viel virtuoser machte. Erfunden wurde sie 1817 in der Werkstatt des Pariser Instrumentenbauers Halary und wird nun als der Vorläufer der Tuba angesehen.

Der Klang des Serpent war nun immer noch zu hören, wenn auch viel seltener…

20. Jahrhundert: Die Renaissance

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann eine Bewegung, die die Beschäftigung mit historischen Instrumenten und originaler Aufführungspraxis in den Mittelpunkt stellte. Es verwundert nicht, dass nun auch der Serpent von neuem seinen Platz in der musikalischen Landschaft einnahm.

Christopher Monk baute in den 70er Jahren in England mit Leidenschaft neue Instrumente und läutete damit die Wiedergeburt des Serpents ein. Das bekannte “London Serpent Trio” brachte diesen von neuem zum Erklingen.

Michel Godard, französischer Jazzer und Tuba-Virtuose, gehört zu denjenigen, die den Serpent in der Gegenwart bekannt gemacht haben. Es gelang ihm, die Beziehungen zwischen der Alten Musik und den viel freieren Harmonien des Jazz zu verdeutlichen. Damit hat er dem Serpent eine große Bandbreite neuer Möglichkeiten eröffnet.

Eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit entstand nach seiner Begegnung im Schweizer Jura mit Stephan Berger, einem Erfinder, Spezialisten für Lederarbeiten und nunmehr auch Erbauer und Spieler des Serpents. Dies war das Vorspiel für eine kleine Revolution im Leben dieses bemerkenswerten Instruments, das nun schon mehr als vierhundert Jahre alt ist.

 

Stephan Berger und der Serpent

Seit alters her ist der Mensch fasziniert von der Schlange (Serpent). Von der Bibel bis zum Dschungelbuch: Ihre Fähigkeit zu bezaubern, zu hypnotisieren, alles zu verschlingen ließ sie zu einem Menschheits-Mythos werden.
Beim Serpent – dem Instrument – ist es ganz ähnlich. Für Stephan Berger war die Begegnung mit dem Instrument ein Schlüsselerlebnis. Als Künstler und Handwerker, Lederspezialist und Erfinder lebte er mit seiner Frau Erna Suter in den Franches-Montagnes, einer Region im Schweizer Jura, die unter Uhren-Liebhaber wohlbekannt ist als die Wiege der Schweizer Uhrenherstellung.

Eine unverhoffte Begegnung

2005 gab Michel Godard, ein Serpentvirtuose und Jazzmusiker, ein Konzert im Café du Soleil in Saignelégier, dem Hauptort in den Franches-Montagnes. Michel war auf der Suche nach einer Lederummantelung für ein Instrument. Das führte ihn bald zu Stephans Werkstatt in Les Bois. Aus diesem Zusammentreffen entstand eine lange und produktive Freundschaft.
Stephan machte sich mit der ihm eigenen Kreativität und Vorstellungsgabe an die Arbeit. Er analysierte die Form und die Materialien des Instruments. Er experimentierte mit verschiedenen Typen von Leder und Pergament, er durchforschte alte Manuskripte auf der Suche nach einer Rezeptur für den geeignetsten Klebstoff.

Entschlossenheit und Innovation

Es war ein kurvenreicher Weg, geleitet durch Herausforderung und Faszination, und immer neuen Entdeckungen. Zunächst arbeitete er zusammen mit dem Instrumentenbauer Matthias Wetter. Zusammen fertigten sie eine Replik eines historischen Instrumentes aus der Sammlung des Musée de la Musique in Paris.
Um tiefer in die Feinheiten des Instrumentes einzudringen, lernte Stephan es zu spielen. Von nun an hatte der Serpent ihn vollends gepackt.
Seine Begegnung mit dem kürzlich verstorbenen Rainer Weber, einem bekannten Restaurator und Instrumentenbauer, brachte ihn dazu, den Serpent auf eine ganz differenzierte Weise zu betrachten. „Ich hatte zunächst nur die physikalischen Aspekte gesehen, nun entwickelte sich ein tiefes Verständnis und ein grosser Respekt vor dem Serpent“, sagt Stephan Berger.
Nach einer gründlichen Erforschung aller Aspekte begann Stephan Berger nun an der Verbesserung der mehr als 400 Jahre alten Kunst des Serpentbauens zu arbeiten. Er entwarf neue und bessere Mundstücke. Seine Fertigkeit in der Lederbearbeitung gestattete ihm, die Techniken wieder zu entdecken, mit denen in der Vergangenheit dieses bemerkenswerte Musikinstrument mit Leder überzogen wurde.
Als Musikkonservatorien und Musiker mit der Frage an ihn herantraten, ob es eine Möglichkeit gebe, robuste und günstigere Instrumente für den Alltag und die Tournee zu bauen, entwickelte Stephan ein leichteres Instrument aus Karbonfasern.
Später schuf er, angeregt vom Virtuosen Volny Hostiou, ein weiteres, kleineres Modell in F, ein Nachbau eines Instruments aus der Sammlung des Musée de la Musique in Paris.
Um das Serpentspielen in unserer Zeit zu befördern, begründete er zusammen mit Michel Godard „The Serpent Journey“, ein Seminar mit Workshop, das alle zwei Jahre in Les Bois, Schweizer Jura abgehalten wird. (Nächster Termin April 2016)
In der Zwischenzeit arbeitet Stephan an immer weiteren Erfindungen. Sein letztes Werk ist ein geniales Reinigungssystem einschließlich eines Ventilators, das der Pflege und Erhaltung des Instrumentes dient. (siehe Video)

Über Stephan Berger

Stephan Berger wurde 1956 in Läufelfingen, Schweiz (in der Nähe von Basel) geboren. Nach einer Ausbildung zum Schmied und Mechaniker für landwirtschaftliche Maschinen begann er 1980 mit Leder zu arbeiten – zusammen mit seiner Partnerin Erna Suter, Keramikerin und für mehrere Jahre Assistentin des französischen Bildhauers Pierre Mestre. 1987 zog das Paar in die Franches-Montagnes im Schweizer Jura, wo das Handwerk, vor allem die Uhrmacherei eine jahrhundertelange Tradition hat. Zusammen begannen sie Möbel zu entwerfen.
Stephan entwickelte auch ein spezielles Geschirr für Blindenführhunde, das bei Sehbehinderten in vielen Ländern der Welt in hohem Ansehen steht.

Marton Radkai

Übersetzung Dieter Schaller

Serpent Berger facteur de serpent